ES WAR
IM JAHR 797.
In Bagdad zählte man zu jener Zeit das einhundertfünfundsiebzigste
Jahr seit Auswanderung des Propheten Mohammed aus
Mekka. Die Astrologen des Kalifen waren eifrig daran,
die Zukunft zu erspähen. In Europa bewies währenddessen
Karolingerkönig Karl, der spätere Kaiser
Karl der Große, wirtschaftliche Raffinesse
und politische Weitsicht.
Mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet, entsandte er
zusammen mit dem jüdischen Kaufmann Isaak, der
vermutlich über organisatorische Fernverbindungen verfügte,
die beiden fränkischen Edelleute Lantfried und
Sigismund auf eine gefährliche Reise, die Geschichte
schreiben sollte und dennoch beinahe in Vergessenheit geriet.
Über den Reiseverlauf in Richtung des Morgenlandes ist
wenig überliefert, obwohl als gesichert gilt, dass die
Delegation ihr Reiseziel Bagdad erreichte. Die Residenzstadt
des Kalifen Harun ar-Raschid galt zu jener Zeit als
Zentrum der Macht, als wichtige Wirtschaftsmetropole an der
Seidenstraße und Hort vieler wissenschaftlicher Disziplinen,
zu denen Medizin, Geographie, Astronomie und Mechanik zählten.
Sogar der zentrale Textkorpus der Erzählungen aus
1001 Nächten soll von hier stammen.
Für die zwei fränkischen Gesandten dürfte die
Expedition in Bagdad allerdings ihr Ende gefunden
haben, denn sie kehrten nicht mehr nach Hause zurück.
Anders aber der Jude Isaak. Mit Empfehlungen des
östlichen Herrschers und mit märchenhaften Geschenken
beschert, traf er im Jahr 802 am mittlerweile kaiserlichen
Hof des Carolus Magnus - Karl dem Großen
- ein. Das Ereignis wäre womöglich wenig spektakulär
geblieben, wäre nicht eines der fremdländischen
Geschenke ein riesiges Ungeheuer gewesen, wie man es im alten
Mitteleuropa noch nicht gesehen - und gehört - hatte.
Dieses legendäre Wesen war ein seltener weißer
Elefant, der auf den Namen Abul Abbas
hörte.
Die Reisegesellschaft samt Elefant hatte eine schier unglaubliche
Wegstrecke von Bagdad bis Aachen hinter
sich gebracht. Zuerst ging es via Damaskus nach Jerusalem
und weiter durch das Nildelta entlang der Mittelmeerküste.
Tripolis, Kairuan und Tunis waren
Stationen. Von Karthago verschiffte man sich nach
Portovenere, bewältigte den Großen
St. Bernhard-Pass und die Alpen, zog über Langres
und Reims schließlich in Aachen ein.
Der Aufruhr, den das bislang unbekannte Tier verursachte,
war enorm. Nur wenige Darstellungen von Elefanten waren bislang
durch orientalische Stoffmalerei oder arabische Seidenstickerei
in den Westen gedrungen. Die Ankunft am 20. Juli 802 wurde
einem Eintrag in den Karolingischen Reichsannalen
zufolge, zum feierlichen Staatsereignis.
Die Tatsache, daß Abul Abbas
überhaupt in der Lage war, die lange Wegstrecke zurückzulegen
und auch im für ihn rauhen Klima Europas mehrere Jahre
zu überleben, deutet darauf hin, daß das sehr pflegeintensive
Tier von einem Mahout, einem ausgebildeten Elefantenführer,
begleitet wurde. Abul Abbas soll
im Jahr 810, also immerhin acht Jahre nach seiner Ankunft
in Aachen, irgendwo in Sachsen verstorben
sein.
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