Der feine Duft aus dem Garten der Muttergottes.
Nicht alle Mönche auf dem Heiligen Berg bewohnen die
großen Klöstern oder leben in der Hauptstadt Karyes.
Seit frühester Zeit bestehen Skites, zwanzig verstreut
wirkende Siedlungen, welche sich um jeweils um ein Gotteshaus
- dem Kyriakón - gebildet haben. Die ehrwürdigste
und damit auch älteste Skiti untersteht dem Kloster der
"Großen Lavra" und existiert seit
1007: das Dorf der Heiligen Anna »Agias Annas«.
Dort wird von einigen Mönchen die traditionellste Räucherware
der orthodoxen Welt nach uralten Rezepturen für die Viverethek
hergestellt. Akribisch gereinigter Weihrauch von hoher Qualität
wird fein gemahlen und mit geheimen Zutaten, Essenzen und
herrlich duftenden Ölen vermengt. Die teigartige Masse
wird geknetet, geschlagen und mit einer Art steinernem Nudelholz
malträtiert, bis jeglicher Widerstand gebrochen ist und
die Masse die erforderliche feine Konsistenz aufweist. Ein
letztes Mal wird sie ausgewalzt und mit einer großen
und schweren Schere in ganz kleine Stücke geschnitten.
Getrocknet und gegen Zusammenkleben gepudert, ist das heilige
Werk unter Zuhilfenahme frommer Gebete vollbracht.

Athos
ist jener Ort, wo die Erde den Himmel berührt.
Askese
und Sinnlichkeit.
Athos. Bereits der Name erstrahlt in einer Aura geheimnisvoller
Metaphern als sei es jener Ort, wo das Jenseits ins Diesseits
einbricht. Die wenigsten Menschen waren jemals dort gewesen.
Angehörigkeit zum maskulinen Geschlecht ist ohnedies
strikte Voraussetzung. Keine Frau darf Ihren zarten Fuß
in den "Garten der Muttergottes" setzen.
Die orthodoxen Klöster sind in reiner Männerhand,
wie auch die gesamte Verwaltung des Hagion Oros [spr.
ajonoros, "Heiliger Berg"].
Athos bildet eine eigene Mönchsrepublik innerhalb Griechenlands
[untersteht dem griechischen Außenministerium]
und ist geografisch die östlichste der drei Halbinseln
der Chalkidike im ägäischen Meer. Seine Ausdehnung
von 47km Länge und 11km Breite ist eine einzige Gebirgslandschaft
mit dem 1.935m hohen Athosberg als eindrucksvollste Erhebung.
Seit mehr als 1.000 Jahren teilen sich Klöster karge
Felsplateaus, sanftgrüne Hänge und idyllische Buchten.
20 Klöster gibt es insgesamt und alle sind nach wie vor
bewohnt. Die Mönche versorgen sich selbst in kleinen
Gärten mit allem Nötigen und halten die Gebäude
in bewohnbarem Zustand. Sie leben als Handwerker, Winzer oder
Bienenzüchter in klösterlicher Verbindung. Wie die
Hüter des Grals wachen sie über uraltes Glaubens-
und wertvolles Kulturgut.

Kloster
Xiropotamou [Brockhaus 1895].
Der lange Weg zum Athos.
Auch für maskuline Reisende bedeutet es einen gewaltigen
Hürdenlauf, eine der raren Besucherlizenzen zu ergattern.
Nichtgriechische Pilger und Besucher benötigen zu allererst
ein Empfehlungsschreiben einer öffentlichen Institution,
etwa der Pfarre, Universität, Akademie o.ä. mit
der Begründung eines "berechtigten Interesses"
am Besuch des Heiligen Berges. Dieses erste Schriftstück
ist dem Konsulat in Thessaloniki vorzulegen, in der Hoffnung
auf positive Beurteilung. Ein wenig göttlicher Beistand
kann nicht schaden und so darf man die Dokumente - zwei sind
es mittlerweile - dem Ministerium für Nordgriechenland
vorlegen. Persönliche Vorsprache ist hilfreich, kann
aber wochenlange Warterei, welche anmutet wie eine Definition
der Unendlichkeit des Universums, nur wenig beschleunigen.
Anschließende drei bis vier Wochen Wartezeit zum Erhalt
einer Einreisegenehmigung erscheinen dagegen wie Rasanz. Denken
Sie aber nicht, das wärs bereits. In Ouranoupolis,
wo moderne wie altertümliche Fährboote ablegen,
darf man sein Diamonitrion [Einreisegenehmigung]
samt Pass vorlegen und eine kleine Gebühr entrichten.
Dann erst ist man zum Betreten eines Schiffes zum Athos berechtigt.
Bei der Pforte eines jeden Klosters - sei es als Pilger oder
Besucher - ist die gut zu hütende Aufenthaltsgenehmigung
vorzulegen, um widerum eine Erlaubnis zur Übernachtung
zu erhalten. Mittlerweile hat der technische Fortschritt auch
am Athos Einzug gehalten, und die Verständigung zwischen
den Klöstern hat sich mittels Telefon deutlich beschleunigt.
Anmeldungen zur Übernachtung sollten nähmlich bereits
am Vortag vorgebracht werden, damit man auch tatsächlich
nach Zeigen aller erdenklichen Dokumente in einem schier weltentrückten
Schlaf entschwinden kann. Dies aber bitte rasch, denn auch
am Athos ist Zeit knapp und sind Nächte kurz. Noch bevor
die ersten Sonnenstrahlen den unendlichen Horizont erreichen,
läuft der Gästepater lärmend von Tür zu
Tür, um seine Schützlinge wieder auf irdischen Boden
zurückzuholen. Übersehen oder gar vergessen hat
er bisher noch keinen.
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