Ein erholsamer
Rückzugsort ohne Zeitmesser:
DER HAMMAM.
Als sich vor wenigen Jahrzehnten immer mehr Menschen ein eigenes
Badezimmer - mit Warmwasser - in das Eigenheim bauten, begann
die Zahl der eifrigen Hammambesucher abzunehmen. Vorbei sind
Zeiten, als in Fes über hundert, in Istanbul
155 und in Aleppo gar 195 große, öffentliche
Badehäuser vor sich hin dampften. Dennoch, einige Zeugnisse
dieser hochentwickelten Alltags- und Körperkultur haben
überlebt.
Als Vorgeschmack zum Paradies rühmten die orientalischen
Poeten solche hypokaustischen Schwitz- und Dampfbäder.
Hammam. Allein der Klang des Wortes läßt opulente
Visionen im diffusen Licht duftender Dampfschwaden keimen.
Wenn dann allerdings der alte Bademeister aus seinem hölzernen
Kassahäuschen schlurft und lachende Kinderstimmen durch
die Gänge und Gewölbe hallen ist man der Realität
wieder ganz nahe.
Das tut der Faszination aber keinen Abbruch. Seit der Antike
überlebt das arabische Dampfbad nicht nur als bescheidener
Treffpunkt zur Reinigung verschwitzter Körper, sondern
dient auch als Ort zum Ruhen und Genießen, ist kommunikativer
Mittelpunkt, Erholungsstätte vom Alltag, Treffpunkt und
zweite Heimat.

Reich
mir die Hand, mein Leben, komm auf mein Schloss mit mir ....
Damit die Gaffer von der Strasse nichts zu sehen bekommen,
verfügt ein Hammam nicht über Fenster, sondern wird
durch Elefantenaugen von oben her belichtet. Das sind Trübglaskegel,
die in regelmäßigen Abständen die gemauerte
Kuppel durchbrechen und bei Sonnenschein märchenhaft
funkeln wie Sterne. Sie sind Teil der typischen Bäderarchitektur
und finden sich von Marrakesch bis weit hinter die
Oasen des iranischen Hochlandes.

Elefantenaugen
prägen die Kuppel am alten Bad
von Mansia.
Vom Badegast immer mitzubringen - oder auszuleihen - sind
ein Peshtemal-Badetuch, eine Olivenölseife für
Haut und Haare, eine Wasserschöpfschale und ein Waschhandschuh
aus Ziegenhaar. Rutschsichere Holzschlapfen für die Herren
und Takunyas - hübsch verzierte Holzpantoletten
- für die Damen gibts im Auskleideraum.
Zum Eingewöhnen wird der Besucher durch warme Vorräume
geleitet. Von unten beheizte Marmorbänke laden zu sitzender
oder liegender Entspannung bei mobilfunkfreier Ruhe vor der
Welt ein. Die Luft ist etwa 30° warm, dampfig und feucht.
Hier werden Körper, Haut und Sorgen weich. Anschließend
erwartet den Gast die große Waschung, wobei der ganze
Körper mit dem rauhen Ziegenhaarhandschuh abgeschrubbt
wird. Porentief. Die oberen Hautschichten verlieren abgestorbene
Partikel, die Durchblutung wird angeregt. Es folgen Haarwäsche
und auf Wunsch Haarschnitt, Rasur, Epilation, Henna-Haarfärbung
oder Abraspeln der Fersenhornhaut mit dem Bimsstein. Spektakuläres
Einseifen, bis der Badegast unter einem riesigen Berg von
Schaum aus Olivenölseife verschwindet und anschließendes
Abspülen mit reichlich Wasser aus der Schöpfschale
bilden den vorläufigen Abschluß. Ein großes
Badebecken erwartet man in einem Hammam übrigens vergeblich.
Im bodenbeheizten Kernbereich der Anlage, dem Bait al-Harara,
erfolgt der nächste Akt des Zeremoniells. Auf dem erhöhten
Zentralpodest, dem heißesten Platz im Raum, geht der
Masseur seiner martialischen Beschäftigung nach, bei
der die Glieder verrenkt werden, bis sie knacken. Mit Kraft
und Fingerfertigkeit lockert er dabei nicht nur die Muskulatur,
sonder auch die Gemüter seiner Kunden. Für Zimperlichkeit
ist hier kein Platz. Den nehmen zierliche Marmorbecken ein,
die sich in halbrunde Nischen ducken und plätschernd
mit kühlem Wasser locken. Dieses wird mit Hilfe der mitgebrachten
Hammamschale herausgeschöpft und über Kopf und Körper
geschüttet. Auf Wunsch erhält nun der ganze Körper
eine Salbung mit Rosenöl und anderen edlen Extrakten.
Nach solchen Strapazen wird der Gast - mittlerweile duftend
rosahäutig - bis über den Kopf in wärmende
Tücher gehüllt und mit Kaffee und Tee nebst Wasserpfeifennuckel
bewirtet.

Der Hammam hat seit Jahrhunderten die fruchtbare Phantasie
der Europäer beflügelt. Er galt als orientalisches
Refugium für hemmungslose Ausschweifungen, wo sich lustvoll
räkelnde Odalisken den Männern hingeben. Zum Teil
bis heute steht der Begriff als Sinnbild für die angeblich
schwüle Erotik des Morgenlandes. Doch solche Mutmaßungen
sind falsch. Die Sittenaufsicht wacht sehr streng über
die Trennung der Geschlechter. Kleine Traditionsbäder
werden deshalb von Männern und Frauen abwechselnd benützt,
während großzügige Doppelanlagen über
gleichzeitig benützbare, aber strikt getrennte Bereiche
verfügen. Sollte sich der Fremde wegen Unkenntnis in
die falsche Badeabteilung verirren, wird er unmißverständlich
vor die Türe gesetzt. Einst war er ob eines solchen Vergehens
des Todes.

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