STECKBRIEF
EINER DUFTENDEN HEILPFLANZE.
Wer kennt ihn nicht, den kleinen Strauch, der am liebsten
an der Sonnenseite kalksteindurchsetzter Böden ohne stauende
Nässe sprießt. Die schmalen Blätter behalten
ihr Grün über das ganze Jahr und verlieren mit zunehmendem
Sommer nur ihre jung-filzige Behaarung. Wenn dann blauviolette
Blütenrispen auf langen Stengeln mutig dem blauen Himmel
entgegenstreben, ist die Zeit gekommen, mit den Händen
kurz darüberzustreifen, als würde der Wind die Pflanze
streicheln. Sogleich bleibt eine sinngewaltige Woge aromatisch
duftenden Odeurs an der Haut haften.
Eben weil der Lavendel so unglaublich betörend duftet,
nimmt er eine ganz besondere Stellung unter den Kräutern
ein. Er gedeiht in 25 verschiedenen Arten, wovon zwei vorrangig
kultiviert und verarbeitet werden: Lavandula angustifolia
- der echte, offizinelle Lavendel - und Lavandula
hybrida - Lavandin, der einer Kreuzung von
wildem Lavendel mit Speik-Lavendel entstammt.

Lavandin wird großflächig angebaut,
weil sein Ernteertrag bedeutend höher ist als der des
offizinellen Lavendels. Die Pflanzen werden buschig hüfthoch,
liefern üppig besetzte Blütenrispen mit einer hohen
Ausbeute an ätherischem Öl.
In
höheren Lagen zwischen 800 und 1500 Metern gedeiht dagegen
der echte Lavendel auf steinigen und schwer
bewirtschaftbaren Böden. Dessen Blütenpracht fällt
weit geringer aus und deshalb auch die Ausbeute an ätherischem
Öl, welches somit entsprechend teuer ist. Wird die Ernte
von einem Hektar Lavendel unter Wasserdampf destilliert, liegt
der Ertag bei nur etwa 15 bis 20kg Öl. Dafür ist
das Resultat ungleich fein und verfügt über eine
etwas andere Zusammensetzung als von Lavandin, der
über höhere Anteile an monopteren Alkoholen, Oxiden
und Borneon (= Kampfer) verfügt.
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Zwar
unterscheiden sich beide Sorten in erster Linie durch Wuchsvolumen
und analytische Zusammensetzung des ätherischen Öls,
dennoch sind sie typisch mediterrane Blumenkräuter, entstammen
derselben Pflanzenfamilie und blühen entzückend
blauviolett. Lavendel und Lavandin duften vertraut aromatisch
und werden auch ähnlich verwendet. Selbst ihre lanzettförmigen
Blätter mit den harten Stielen ent-halten einen geringen
Anteil des ätherischen Öls mit seinen einmaligen
Duftkomponenten.
Diese werden über Nase und Geruchssinn direkt an die
limbische Funktionseinheit des Gehirns weitergeleitet, woraus
Gedächtnis und Vorstellungskraft eine ungeahnte Fülle
an Emotionen, Gefühlen und Erinnerungen freisetzen.
Damit nicht genug, ist Lavendel in der Lage, entspannend und
ganzheitlich auf den gesamten Körper zu wirken, gleichermaßen
nervöse und erschöpfte Gemüter zu beruhigen.
Manche Schwere des Lebens wird dann urplötzlich federleicht.
GRÜN DENKEN, VIOLETT ERNTEN.
Es ist Sommer und die Welt ist violett geworden. Wie im Märchen
reihen sich blühende Lavendelstauden, soweit das Auge
reicht. Jetzt rücken von Mitte Juni bis Ende Juli die
Mähmaschinen an. Im duftenden Märchenland herrscht
Ausnahmezustand. Denn kaum beginnen sich die violettblauen
Blüten zu öffnen, ist die Zeit des Schnitts gekommen.
Zip, zip, zip und schon hält man eine handvoll Sommer
im Arm. Blätter, Stängel, Knospen und Blüten
- sämtliche Teile des Lavendels enthalten ein herrlich
duftendes ätherisches Öl. Und um dieses geht es
neben der zauberhaft violetten Blütenpracht.


Auf
landwirtschaftlichen Feldern wird Lavendel heutzutage erntegerecht
in langen Reihen angebaut. Das war nicht immer so. Vor allem
in Südfrankreich wurde er lange Zeit nicht kultiviert,
sondern wild wachsend von den Berghängen geholt. Hirten
und Landbewohner sammelten und lieferten an die Parfumhersteller
in Grasse.
Kaum kommt die frische Ernte auf den Hof gefahren, geht es
auch schon zu wie in einer Schnapsbrennerei. Sachtes Destillieren
mit Wasserdampf ist das Zauberwort. Denn schon steigen schwere
Dampfschwaden aus dem riesigen Kessel im Schuppen. Je rascher
das Erntegut vom Feld in der Destille landet, desto frischer
und ertragreicher wird das reine ätherische Öl sein,
welches sich schon kurze Zeit später im Trennbecken vom
Wasser scheidet. Beruhigende Kräuteraufgüsse nach
der schweren Arbeit kann sich der Landwirt an solchen Tagen
sparen und ist froh, wenn eine kühle Prise Mistral die
betörend schwere Luft durchwirbelt.

Destillieren:
Die Gewinnung des reinen ätherischen Öls erfolgt
unmittelbar nach der Ernte durch Wasserdampfextraktion.
KLOSTERGARTEN & PARFUMDUFT.
Der Mensch atmet tiefer, wenn er
Lavendel riecht.
Ob Homer seinen Helden der Ilias duftende
Lavendelsäckchen mit auf den Weg gab? Schließlich
war das Duftkraut im klassischen Altertum zur Abwehr von Milben,
Motten und Schaben weithin bekannt. Textilschädlinge
lassen sich damit bis heute gut vertreiben und auch mit einem
deutlich angenehmeren Odeur als gemeine Mottenkugeln.
Erst in den Schriften des bedeutenden griechischen Pharmakologen
Pedanios Dioskurides finden sich um 70 n. Chr. einige
Zeilen über praktische Heilanwendungen. Wenn nicht bereits
als römisches Treibgut, so schaffte der Lavendel spätestens
im 11. Jahrhundert den Weg vom Mittelmeer über die Alpen
nach Zentraleuropa, gut verpackt als Mitbringsel von Mönchen.
Der Arzneigarten so manchen Klosters wurde daraufhin zum Vermehrer
und später zum Bewahrer dieses mediterranen Schatzes.
Es ist unglaublich, in welch unterschiedlichen Klimalagen
der Lavendel gedeihen kann, solange der Boden vorzugsweise
sandig oder leicht kiesig, trocken und vor allem sonnig ist.
Sogar auf den britischen Inseln konnte die Pflanze früh
Fuß fassen, sodass es Königin Elisabeth I bereits
im 16. Jahrhundert möglich war, große Mengen von
englischem Lavendeltee gegen Migräne einzunehmen.
Die langwierige Entdeckung der Heilkräfte und der umfangreichen
Wirkungsqualitäten des Lavendels dürfte generell
ein Verdienst der europäischen Klostermedizin sein, die
ab dem 11. Jahrhundert ausführlich verschiedene Wirkungen
beschreibt. Hildegard von Bingen empfahl Lavendeldekokt
mit Branntwein vermischt. Andere mittelalterliche Ärzte
erkannten, "das Nervenkraut beruhige zittrige Hände",
während der Bader John Gerard 1597 veröffentlichte:
"Es bekömmet denen wohl, die lahm sind ...".

Dass Lavendel eine allgemeine Verbreitung und Beliebtheit
quer durch alle Volksschichten erfuhr und die hübsche
Pflanze gleichzeitig einen angestammten Platz im Bauerngarten
fand, ist schließlich einer euphorischen Modewelle der
Renaissance zu verdanken, die ganz Europa erfasste. Seither
zählt Lavendel unangefochten zu den populärsten
Kräuterpflanzen.
Aber Lavendel ist doch Parfum!
Stimmt auch. Lavendel ist nicht nur Heilkraut und Zierpflanze,
sondern wurde schon vor langer Zeit aus dem rein pharmakologischen
Kontext gelöst und als körperliches Duftmittel erkannt.
So findet sich Lavendel in vielen alten Rezepturen von Eau
de Cologne wieder. Dass dessen Hersteller angeblich seltener
an Pest erkrankten, ist wahrscheinlich eine Mär. Als
gesichert kann dagegen gelten, dass die feine Gesellschaft
des Empire im Gefolge von Napoleons Marschtruppen die Liebe
zum Lavendelparfum kreuz und quer durch Europa trug und fest
etablierte. Als Zentrum dieser neuen Liebe zu Duft und Parfum
stieg das Städtchen Grasse unweit der französischen
Riviera auf. Ursprünglich für derbe Lederhäute
bekannt, begannen die Gerber des Ortes, ihre Ware mit wohlriechenden
Essenzen, darunter Lavendelöl, zu behandeln. Das Geschäft
expandierte ausgesprochen gut und die elend stinkende Lederzunft
wurde zugunsten der höheren Parfumeurskunst prompt verbannt.
Bis heute gibt es reinen Lavendelduft als eleganten Klassiker
für Damen und Herren genauso, wie unzählige Parfumkreationen,
die Lavendel als emotionale Komponente einsetzen. Darunter
sind viele Chypre-Damendüfte und Fougère
für Herren - diese Namensgebung geht übrigens auf
das Parfum Fougère Royale von 1882 aus dem
Hause Houbigant zurück.

Lavendelblüten wurden einst den dargereichten Speisen
untergemischt, wenn Frau sich der Liebe des begehrten Mannsbildes
versichern wollte. Einen Versuch ist es auch heutzutage allemal
wert.

Lavendelernte
in der Haute Provence um 1900.
Die duftenden Pflanzen wurden sofort nach der Ernte an Ort
und Stelle destilliert.
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